Maximal 60-90 Minuten?
Vor 15 Jahren, zu Beginn meiner Online-Trainer Karriere lernte ich: Webinare sollten bestenfalls 60-90 Minuten dauern. Länger ist es den Teilnehmern nicht zuzumuten.
Das bezog sich aber wohl auf die Form, in der damals Webinare (und leider auch heute noch viele) abliefen: Nämlich als „betreutes Lesen“, bei denen ein Vortrag gehalten wurde, und dazu 100 Textfolien abgelesen wurden. Das würde ich nicht einmal 5 Minuten ertragen, geschweige denn 60-90 Minuten.
Da plötzlich alle möglichen Seminarformate flugs auf Online-Seminare umgestellt werden, sind auch die Zeitanfragen sehr unterschiedlich.
Manche möchten mal eben in einer Stunde das vermittelt bekommen, was ich in der WEB-TRAB in 6 Webinaren á 3 Stunden vermittele.
Andere möchten ein geplantes 2-tägiges Präsenz-Seminar mal eben zwei Tage online machen. Viele möchten ein ganztägiges Seminar.
Inzwischen habe ich mit all diesen Varianten herumexperimentiert und Erfahrungen gemacht und möchte daher erste Empfehlungen geben.
Längere Live-Online-Seminare von 3-4 Stunden
In meiner Online-Trainer-Ausbildung dauern die Live-Online-Seminare inzwischen fast 3 Stunden.
Das hat verschiedene Gründe:
Zum einen traue ich Trainern da einfach mehr zu, zum anderen halte ich da so gut wie keine Vorträge. Wenn es mal einen kurzen Input gibt, dann mit unterschiedlichen Visualisierungsformen und Methoden, da es ja immer darum geht, dass die Teilnehmer eben alternative Methoden zu reinem Vortrag kennenlernen und selbst erleben.
Vor allem aber sind sie ständig selbst aktiv, auf sehr unterschiedliche Weise, denn auch das ist ja das, was sie lernen sollen. Wie ich Teilnehmer mit interaktiven Methoden beteilige, damit sie wirklich etwas lernen. Dazwischen gibt es immer wieder Energizer – und natürlich auch mal eine Pause.
Das alles führt dazu, dass wir nach den 3 Stunden zwar merken, dass wir intensiv gearbeitet haben, die 3 Stunden aber ausgesprochen „kurzweilig“ waren, wie immer wieder Teilnehmer formulieren.
Dann kommt sogar noch eine weitere Stunde hinzu, wo die Teilnehmer selbst kleine Übungspräsentationen durchführen und anschließend Feedback bekommen. Das ist natürlich für alle hochspannend, so dass auch hier die Konzentration erhalten bleibt.
Anfragen nach eintägigen Seminaren
Öfter bekam ich im letzten und auch in diesem Jahr die Frage nach einem eintägigen Seminar.
Wo immer es möglich war, habe ich es gesplittet in zwei halbe Tage. Beispielsweise zwei Vormittage hintereinander. Weil ich einfach weiß, dass die Teilnehmer dann mehr aufnehmen können und es daher effektiver ist.
Doch das geht nicht immer, also musste ich auch an eintägigen basteln.
Zweitägige Seminare
Das Stichwort für eintägige und zweitägige Seminare ist „Intervall“.
Das bedeutet, es gibt eine Einheit online, dann arbeiten die Teilnehmer alleine weiter (oder auch in Gruppen) und wir treffen uns nach 1-2 Stunden wieder gemeinsam online. So geht das dann hin und her.
Ich weiß, dass es Institutionen gibt, wo die Teilnehmer und Trainer jeden Tag 6-8 Stunden gemeinsam vor dem PC verbringen. Das finde ich nach wie vor nicht vernünftig und vor allem nicht wirkungsvoll. Dann kämpfe ich die halbe Zeit mit Konzentrationsschwierigkeiten meiner Teilnehmer und muss sehen, wie ich sie bei der Stange halte.
Wenn sie hingegen zwischendurch mal in Ruhe alleine an einer Aufgabe arbeiten können, womöglich sogar mit Papier und Stift, statt weiter am PC, kommen sehr viel bessere Ergebnisse dabei heraus.
Bei der Planung längerer Seminare überlegen
Bei der Planung eines solchen längeren Seminars musst du als erstes überlegen:
* Welchen Input musst du geben, welche Theorie, welche Inhalte? Können die Teilnehmer diese auch auf andere Art erhalten als über einen langweiligen und langwierigen Vortrag?
– Beispielsweise vorher Texte per E-Mail verschicken und die Teilnehmer bitten, diese vorher zu lesen und oder während des Seminars dafür Zeit einräumen.
Ich habe ja meine OAZE – Online-Akademie, wo ich solche Texte und Unterlagen für die Teilnehmer hochlade.
* Welche Methoden und Aufgaben musst du im Live-Online-Seminar mit den Teilnehmern gemeinsam besprechen?
* Wie können diese Aufgaben bearbeitet werden?
- Gemeinsam in der Gesamtgruppe?
- In Arbeitsgruppen (Breakout Rooms oder auf einer anderen Plattform oder gar offline)?
- Wo ist Einzelarbeit sinnvoll? Die die Teilnehmer dann erledigen können zwischen den Live-Sessions?
- Zu welchen Themen ist ein Austausch wichtig?
- Nach welchen Aufgaben ist ein Austausch oder gegenseitiges Vorstellen der Ergebnisse sinnvoll? In welcher Form soll das stattfinden?
- Die Teilnehmer laden es als Datei hoch.
- Die Teilnehmer schicken es dem Trainer per Mail, der es dann für alle hoch lädt und zeigt.
Konkrete Beispiele aus einem zweitägigen Seminar
Voriges Jahr war ich genau in der Situation, dass ich ein zweitägiges Präsenz-Seminar mit einem Kunden in Köln geplant hatte. Ich machte zwar schon sonst nur noch online-Seminare, aber bei dem einen hatte ich noch mal eine Ausnahme machen wollen, da es ein alter Kunde war und eben Köln bei mir ganz in der Nähe ist.
Das sollte nun aber auch online stattfinden. Da die Zeiten bei allen Mitarbeitern schon blockiert waren, entschieden wir spontan: Dann machen wir es zur gleichen Zeit online.
Dass es ganz ok war, lag aber vor allem auch am Thema „Kreativitätstechniken“ und lässt sich daher sicher nicht eins zu eins auf alle Themen übertragen.
Bei den Krea-Techniken war es auch in den Präsenz-Seminaren so, dass ich nach einer allgemeinen Einführung in Grundlagen der Kreativität und einem Phasen-Modell jeweils eine Methode vorstellte, die die Teilnehmenden dann auf ihr Thema anwendeten. Mal in Einzelarbeit, mal in Gruppenarbeit, damit sie gleichzeitig auch lernten, wie sie das in ihren späteren Meetings in der Gruppe nutzen können.
Daher konnten wir das online ähnlich machen.
Nach den theoretischen Grundlagen und der Themensammlung haben wir nach und nach verschiedenen Kreativitätstechniken kennengelernt und bearbeitet. Es gab beispielsweise eine längere Einzelarbeit mit der Walt Disney Strategie am 1. Tag und mit dem Brainstorming for one am 2. Tag. Die Ergebnisse waren teilweise besser als im Seminar, auf jeden Fall nicht schlechter.
Gruppenarbeiten fanden virtuell statt. Am schwierigsten war es mit dem Gruppen-Mind Map, wo sie sonst zu vier an einem Tisch sitzen und alle 5 Minuten das Blatt weiter geben. Da haben wir etwas herumgefrickelt, wie wir das online machen können, da ja nicht alle das gleiche Mind Map Programm auf ihrem PC hatten. Da werde ich aber hoffentlich in 2 Wochen ein passendes Tool kennenlernen, mit dem ich das beim nächsten Mal ausprobiere.
Als Gruppe gemeinsam ein Mind Map erstellen geht auch einfach bei Zoom. Ein Teilnehmer überträgt seinen Bildschirm und entweder erstellt er auf Zuruf ein Mind Map oder alle beteiligen sich mit dem Textwerkzeug und ergänzen auf dem Whiteboard.
Vertrauen
Dieses Format der Selbstlernphasen zwischen den Live-Treffen setzt natürlich Vertrauen voraus, darauf, dass die Teilnehmer wirklich mitmachen wollen und sich in der Zwischenzeit nicht aufs Sofa legen und einen Krimi lesen. Davon gehe ich aber aus, denn warum sollten sie sich sonst zum Seminar anmelden.
Auch bei vielen Firmenseminaren können sich die Teilnehmer dazu anmelden, ich habe so gut wie nie mehr Seminare, wo die Teilnehmer hingeschickt wurden.
Da ich vor allem ja das Thema „Wie führe ich Online-Seminare durch“ anbiete, sind die Teilnehmer in der Regel froh, wenn sie einen Platz bekommen und Hilfe bei dem Thema bekommen, wie sie plötzlich ihre Seminare und Schulungen online gestalten wollen.
Von daher ist die Motivation sehr hoch und ich kann auch solche Selbstlern-Phasen einbauen.
Resümee
Obwohl längere Seminare also durchaus möglich sein können (je nach Thema und Bedingungen) empfehle ich trotzdem wo immer möglich, diese aufzuteilen in halbe Tage. 3-4 Stunden ist wirklich genug – danach braucht das Hirn der Teilnehmer Zeit, das alles zu verdauen und
Liebe Zamyat,
vielen Dank für deine Einschätzung und deine Erfahrungen. Du bestätigst damit, was ich selbst in meiner Trainerinnentätigkeit festgestellt habe: Es gibt nicht die eine richtige Workshop-Länge. Vielmehr hängt es maßgeblich von der Aufbereitung des Themas und der Aktivierung der Teilnehmenden ab. Ich experimentiere ebenfalls viel und kann deine Erfahrungen deshalb voll unterschreiben.
Liebe Henrike,
prima, dass du auch schon so viele Erfahrungen gemacht hast und fröhlich rumexperimentierst. Viel Spaß weiterhin!
Liebe Zamyat,
nachdem ich Dich auf einem Online Trainer Kongress kennenlernen konnte, beziehe ich seit wenigen Wochen Deinen Newsletter. Für Deine Offenheit, Klarheit und die Details bin ich Dir sehr dankbar! Bis jetzt habe ich noch keine/n Trainer*in erlebt, der/die im Blog oder Newsletter so großzügig und uneitel Informationen über seine Arbeit weitergibt. Du nimmst mir die Scheu, die Themen Training und Coaching nun endlich auch Online anzugehen. DANKESCHÖN!
Liebe Helga,
oh, vielen Dank, das finde ich klasse, dass du das so erlebst. Ja, ich zeige hier viel in meinem Blog und inzwischen nicht nur Methoden, sondern auch Themen aus dem Alltag von Trainern und nun vor allem online :-). Es freut mich sehr, dass ich dir die Scheu nehmen konnte und wünsche dir online viel Erfolg – und auch viel Spaß! Das kann es nämlich machen, wenn man einfach all die Dinge tut, die man auch in Präsenzseminaren gerne gemacht hat.
Liebe Zamyat,
vielen Dank für Deine Erfahrungen. Ja, online ist ganz anders. 😉 und sehr interessant.
Für Mindmaparbeiten nutze ich die http://www.miro.com – ob es auch in der kostenlosen Version die Vorlage gibt, weiß ich nicht – vielleicht eine Möglichkeit?
Genau das Tool miro meinte ich in meinem Beitrag :-). Das schaue ich mir mit Kollegen demnächst mal genauer an, alleine habe ich schon rumgestöbert, finde es auch ausgesprochen hübsch, aber ob und wie ich da diese Gruppen-Mind Maps durchführen kann, hole ich mir noch Beratung :-).